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Diabetes und Recht

VERÖFFENTLICHT AM 07. MÄRZ 2024 | Durchschnittliche Lesedauer 05:14 Min.

Im Alltag von Diabetikern ergeben sich immer wieder juristische Fragen. Häufig herrscht Verwirrung über Rechte und Pflichten, die die Erkrankung mit sich bringt. 

Um ein wenig Licht in den Paragrafen-Dschungel zu bringen, widmet sich dieser Block die nächsten Male um häufige Fragen, die mit einer Diabeteserkrankung einhergehen: 

  • Teil 1 Diabetes und Straßenverkehr
  • Teil 2 Diabetes und Schwerbehinderung
  • Teil 3 Diabetes rund um den Arbeitsplatz

Heute soll es also um des Deutschen liebstes Spielzeug gehen: das Auto und die motorisierte Teilnahme am Straßenverkehr.

Teil 1 Diabetes und Straßenverkehr

Da dieses Thema sehr vielschichtig ist und die Teilnahme am Straßenverkehr mit Regeln und Bedingungen geknüpft ist, gibt es eine DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) Leitlinie „Diabetes im Straßenverkehr“ die 2021 erschien und die wichtigsten Punkte zusammenfasst.

Die Teilnahme am Straßenverkehr ist durch die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geregelt.

Bei einer Führerscheinanmeldung wird nach dem Vorhandensein eines Diabetes gefragt. Dies muss wahrheitsgemäß beantwortet werden. Eine ärztliche Bescheinigung ist notwendig, damit sichergestellt ist, dass die Fahreignung durch den Diabetes nicht eingeschränkt ist. 

Des Weiteren kann ein Verkehrsgutachten gefordert werden. Die Kosten sind dann vom Antragsteller des Führerscheins zu zahlen.

Wer bereits eine Fahrerlaubnis für den PKW besitzt und erst dann einen Diabetes entwickelt ist nicht verpflichtet die Krankheit der Behörde zu melden. Bei Berufskraftfahrern ist dies nochmals anders und wird im Rahmen der betriebsmedizinischen Untersuchung geklärt. 

Prinzipiell muss die Fahrsicherheit (oder Synonym: Fahrtauglichkeit) von der allgemeinen Fahreignung unterschieden werden. Während sich die Fahrsicherheit durch akute Beeinträchtigungen des Fahrers schnell sowohl Situations- als auch Zeitbedingt ändern kann, ist die Fahreignung die prinzipielle Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeuges.

Einflüsse auf Fahrsicherheit und Fahreignung haben im Folgenden:

  • Stoffwechselentgleisungen wie Unter- oder Überzucker
  • Diabetesbedingte Folgeerkrankungen (Augenerkrankungen, Nervenschäden)
  • Begleiterkrankungen wie hoher Blutdruck oder auch das Schlafapnoesyndrom
  • Unzureichende Kompetenz im Umgang mit der Erkrankung

In einer Übersichtsarbeit aus den USA (Daniel Cox und Kollegen, 2002-2012) zeigt sich, dass das Unfallrisiko bei Diabetikern 19 % höher als in der Allgemeinbevölkerung ist. Im Vergleich zu anderen Erkrankungen ist dies eher niedrig.

Als Beispiel erhöht sich das Risiko bei Patienten mit einem Schlafapnoesyndrom auf 140 % bei Patienten mit ADHS sogar auf 340 %.

Allerdings zeigen sich im Diabetes Kollektiv sogenannte „Hochrisikogruppen“ die genauer betrachtet werden müssen.

Welche Faktoren haben Einfluss auf die Fahrtauglichkeit?

Bei Unterzuckerungen kommt es zu Einschränkungen der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Reaktionsvermögens und des Sehvermögens. Schlimmstenfalls kann es zur Bewusstlosigkeit kommen. Die Teilnahme am Straßenverkehr ist in diesem Fall für den Diabetiker und seine Mitmenschen lebensgefährlich.

Besonders gefährdet sind Menschen, die Medikamente bekommen, die eine Unterzuckerung auslösen:

Folgende Medikamente können akute Unterzuckerungen auslösen:

  • Sulfonylharnstoffe (Glimepirid, Glibenclamid)
  • Repaglinide
  • Insuline

Andere Medikamente weisen in der Regel kein erhöhtes Hypoglykämierisiko auf:

  • Metformin
  • Gliptine (Sitagliptin, Januvia©, Xelevia©)
  • GLP1 Analoga (Semaglutide, Ozempic©; Liraglutude, Trulicity©)
  • SGLT2 ( Empagliflozin,Jaridance©; Dapaglifozin, Forxiga©) 

Weitere Punkte können zu einer Unterzuckerung führen:

  • Fehler der Insulintherapie
  • Zuviel Insulin
  • Eine zu geringe Kohlenhydrataufnahme
  • Sportliche Betätigung
  • Die Kombination von Alkohol und Diabetes

Die Straßenverkehrsordnung besagt im

§1 Grundregeln

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Das heißt: Jeder Fahrer, egal ob Diabetiker oder nicht, muss vor Fahrantritt sicher sein, dass seine Gesundheit das Führen eines Kraftfahrzeuges erlaubt.

Für einen Diabetiker mit Medikamenten, die eine Unterzuckerung auslösen bedeutet dies im konkreten Fall:

  1. Kontrolle des Blutzuckers vor Fahrantritt: >90mg/dl
  2. Mitführen eines Blutzuckermessgerätes (bei kontinuierlicher Blutzuckermessung über ein CGM muss das Lesegerät mitgeführt werden oder das Handy)
  3. Bei längeren Fahrten Kontrolle des Blutzuckers alle drei Stunden
  4. Mitführen von Kohlenhydraten im Fahrzeuginnenraum

Bei Blutzuckerwerten von <70mg/dl ist eine Fahruntauglichkeit anzunehmen und die Fahrt muss unterbrochen werden bis der Blutzucker wieder stabil ist.

Wie verhalte ich mich bei Verdacht auf einen akuten Unterzucker beim Autofahren:

  1. Sofortiges Unterbrechen der Fahrt
  2. Einnahme von zwei schnellen KH Einheiten: z. B. 200 ml Apfelsaft
  3. Anschließende Blutzuckermessung: bestätigt sich die Unterzuckerung, dann
  4. Zusätzliche Einnahme von einer langsamen KH Einheit: z. B. Müsliriegel
  5. Fahrtantritt erst wieder, wenn der Blutzucker stabil >90mg/dl ist
  6. Frühestens jedoch nach 20 Minuten

Ständig wiederkehrende Unterzuckerungen können zu einer Reduzierung der Alarmsignale führen, d. h. die Blutzuckerwerte sind gefährlich niedrig, ohne dass zuvor Herzklopfen, Schweißausbruch, Zittern aufgetreten ist. Daher kann man nicht adäquat reagieren und mit Gegenmaßnahmen wie Kohlenhydratzufuhr gegensteuern. Bewusstseinseintrübungen erfolgen somit schnell und unerwartet! 

Diese sogenannte Hypoglykämiewahrnehmungsstörung kann bereits nach einer schweren Unterzuckerung auftreten und kann mehrere Tage bis Wochen anhalten. Je häufiger die Unterzuckerung vorkommt, desto schwerer ist auch die Wahrnehmungsstörung. Hier ist dringend die Hilfe des diabetologischen Teams einzuholen und eine Stoffwechselneueinstellung durchzuführen. Auch die Teilnahme an einer spezialisierten Schulung, der Hypo-Schulung, ist notwendig.

Auch Überzuckerungen können eine Fahruntauglichkeit bewirken. Gerade bei Typ 1 Diabetikern kann eine akute Stoffwechselentgleisung (diabetische Ketoazidose) zu einer Bewusstseinseintrübung führen. In diesem Fall ist die Teilnahme am Straßenverkehr streng untersagt.

Wichtig ist zu wissen, dass bei jedem neu diagnostizierten Diabetiker, der eine Therapie beginnt, individuell entschieden werden muss, ob er aktuell weiter am Straßenverkehr teilnehmen kann oder nicht. Es kann notwendig sein, ein vorübergehendes Fahrverbot auszusprechen, bis sich die Blutzuckerwerte wieder normalisiert haben und der Patient sicher und adäquat mit seiner Neuerkrankung umgeht.

Auch Folgeerkrankungen des Diabetes können zu einer Einschränkung der Fahreignung führen. Fortgeschrittene Augenhintergrundveränderungen wie eine diabetische Retinopathie oder eine diabetische Makulopathie führen zu Beeinträchtigungen des Sehvermögens, die unter Umständen so gravierend sind, dass keine weitere Fahreignung besteht.

Diese kann partiell, also vorrübergehend sein, z. B. unter einer Therapie oder aber auch permanent und dauerhaft. Dies entscheidet der jeweils behandelnde Augenarzt.

Die diabetische Neuropathie, und hier meist die diabetische Polyneuropathie der Beine/Füße, kann durch unzureichende Pedaltätigkeit zu einer Beeinträchtigung beim Autofahren führen. Hier muss individuell nach neurologischem Befund beurteilt werden. 

Über ein (vorrübergehendes) Fahrverbot klärt Sie Ihr behandelnder Arzt auf. Es liegt in Ihrer Eigenverantwortung diese zu befolgen. Eine Meldung an die Straßenverkehrsbehörde erfolgt aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht. Allerdings kann es bei Unfällen zu entsprechenden Anfragen an den Arzt kommen.

Es versteht sich, dass Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Bluthochdruck, Schlafapnoe, Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenfalls sicher und optimal eingestellt werden müssen. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die meisten Diabetiker (Typ 1 und Typ 2) die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen als Privatkraftfahrer, aber auch als Berufskraftfahrer, erlangen können. „Gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes können alle Fahrzeuge sicher führen“ (Leitsatz seit Mai 2014 aus der Fahrerlaubnisverordnung).

Allerdings liegt es in der Eigenverantwortung des Diabetikers vor jeder Fahrt individuell zu überprüfen, ob er aktuell am Straßenverkehr teilnehmen kann. Die Stoffwechsellage muss stabil und ausgeglichen sein. Menschen mit stark zuckersenkenden Medikamenten müssen die Blutzuckerwerte kontrollieren und bei Unterzuckerungen Gegenmaßnahmen ergreifen können. Bestimmte Situationen, sowie bestimmte Folgeerkrankungen des Diabetes, bedürfen eines (vorrübergehenden) Fahrverbotes welches individuell besprochen wird.

Am allerwichtigsten ist es, nachweisen zu können, dass man eine ausreichende, sichere Kenntnis seiner Erkrankung hat, verantwortungsvoll und reflektiert damit umgehen kann und vorrausschauend handelt unter Einbeziehung möglicher Risiken. Dazu sollte jeder Diabetiker, der sich motorisiert im Straßenverkehr bewegt, an einer strukturierten Schulung teilnehmen. Optimalerweise sollte diese regelmäßig aufgefrischt werden (alle zwei Jahre).

Ebenso ist die Teilnahme am DMP Diabetes und die regelmäßige Kontrolle der Stoffwechsellage als Nachweis eines verantwortlichen Handelns essentiell.

Damit können wir nur wünschen: „Allzeit gute und sichere Fahrt“!

Bitte sprechen Sie uns bei Fragen gerne an! Unser Team der Diabetologie der ÜBAG Dr. Renard & Kollegen ist jederzeit für Sie da.

Quelle:

Praxisempfehlung Diabetologie und Stoffwechsel, Herausgeber DDG, 2021, Fahrerlaubnisverordnung

AUTORIN:

DR. BÄRBEL WOLF
FACHÄRZTIN FÜR INNERE- UND ALLGEMEINMEDIZIN, DIABETOLOGIN (BLÄK), NATURHEILVERFAHREN