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Diabetes und Recht
Teil 2 Schwerbehinderung bei Diabetes

VERÖFFENTLICHT AM 24. April 2024 | Durchschnittliche Lesedauer 05:18 Min.

„Als behindert gilt, wer länger als sechs Monate körperliche, seelische oder geistige Beeinträch-tigungen hat, die eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft verhindern.“

Eine Behinderung darf in Deutschland von Gesetzes wegen keine soziale Benachteiligung mit sich ziehen (SGB Artikel 1 §33c).

Um also diese Beeinträchtigungen ansatzweise auszugleichen, kann ein entsprechender Antrag auf Grad der Behinderung (im Nachfolgenden GdB genannt) gestellt werden. Die Schwere wird auf einer Skala von 10-100 Grad „umgangssprachlich Prozent (%)“ ausgedrückt.

Bei Patienten mit einer Diabeteserkrankung ist dies unter bestimmten Voraussetzungen eben-falls möglich. Hier ist es abhängig von der Schwere der Erkrankung, den bereits vorhandenen Folgeerkrankungen, entsprechender Begleiterkrankungen, aber auch vom Aufwand, der betrie-ben werden muss, um die Diabeteserkrankung adäquat zu behandeln.
Diese Faktoren beeinflussen auch die Höhe des GdB.

Ab einem GdB von 50° gilt man als schwerbehindert und erhält einen Schwerbehindertenaus-weis. Folgende Nachteilsausgleiche sind ab jetzt möglich:

  • Vorzeitige Altersrente mit 65 Jahren ohne Abzüge
  • Vorzeitige Altersrente mit 63 Jahren. Hier erfolgt ein Rentenabzug von ca. 10% im Mo-nat.
  • Unabhängig von der Betriebsgröße, also auch in Kleinbetrieben (bis zu 10 Mitarbeitern), gilt der erhöhte Kündigungsschutz. Somit wird die Hürde für den Arbeitgeber eine Kün-digung auszusprechen, sehr viel höher. Sie darf unter anderem nur ausgesprochen wer-den, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hat.
  • Zusatzurlaub: Vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter mit Schwerbehinderung haben ein Recht auf 5 Tage bezahlten Sonderurlaub.
  • Bereitschaftsarbeiten, die eine Mehrarbeit bedeuten, können abgelehnt werden, angeordnete Überstunden können abgelehnt werden.
  • Verbesserte Chance auf Verbeamtung oder Übernahme in den öffentlichen Dienst. Bei gleicher Eignung und Befähigung sind behinderte Menschen grundsätzlich bevorzugt ein-zustellen.
  • Steuervergünstigungen: Der Behinderten-Pauschalbetrag ist abhängig von der Höhe der Behinderung. Es gibt Pauschalbeträge, die von den jährlich zu zahlenden Steuern abge-zogen werden. Auch Eltern von Kindern mit Diabetes und Schwerbehinderung bekommen ausglei-chend, aufgrund des erhöhten Betreuungsaufwandes, Steuervergünstigungen.

Wer einen Antrag auf Feststellung eines GdB stellen möchte, wendet sich an das jeweilige Ver-sorgungsamt. In Nürnberg lautet die Adresse:

Zentrum Bayern Familie und Soziales
Region Mittelfranken
Roonstraße 22, 90429 Nürnberg

Auch online können die entsprechenden Formulare abgerufen werden: https://www.zbfs.bayern.de/menschen-behinderung/ausweis/antrag

Die Höhe mit welcher der GdB eingeschätzt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Alle Gesundheitsstörungen, nicht nur die Diabeteserkrankung, die zu einer relevanten Beein-trächtigung der Teilhabe am Alltagsleben führen, spielen mit in die Wertung ein.

Jeder Erkrankung wird ein Einzel-GdB zugeordnet, die in einem weiteren Schritt zu einem Ge-samt-GdB zusammengefasst werden. Dabei werden die Einzelbehinderungen jedoch nicht einfach addiert, sondern so zusammenge-fasst, dass ein möglichst gerechter GdB gefunden wird. Er soll mit anderen Erkrankungen ver-gleichbar sein. Beispielsweise bedeutet ein GdB von 50°, dass die entsprechende Erkrankung dieselbe Gewich-tung hat, wie der Verlust einer Extremität oder der Verlust der Sprache nach einem Schlagan-fall.

In der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist festgelegt, welche Voraussetzungen für welche Höhe des GdB vorliegen müssen.
Tatsächlich zeigen sich hier durchaus Diabeteserkrankungen ohne alltägliche Einschränkungen, die keinen GdB bekommen.

Bei einer Diabeteserkrankung werden in der Regel folgende Grade festgestellt:

  • Behandlung mit Insulin => GdB 30-40°
  • Um einen GdB von 50° zu erreichen, müssen folgende Punkte erfüllt sein:
    • Behandlung mit einer intensivierten Insulintherapie mit mindestens 4 Insulinin-jektionen in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker
    • Selbstständige Anpassung der Insulindosis, ICT, Pumpentherapie
    • Dokumentation von BZ Werten und Insulindosen
    • Erhebliche Einschnitte, welche gravierend die Lebensführung beeinträchtigen.

Gerade der letzte Punkt ist individuell sehr unterschiedlich auslegbar und kann immer wieder dazu führen, dass auch intensiviert eingestellte Typ 2 Diabetiker oder Typ 1 Diabetiker den GdB von 50° nicht erreichen. Es reicht häufig nicht aus, dass die Erkrankung die Lebensführung be-einträchtigt. Vielmehr muss eine gravierende Teilhabeeinschränkung vorhanden sein.

Erst Komplikationen wie rezidivierende Unterzuckerungen, wiederholt notwendige Kranken-hausaufenthalte oder außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können so etwas widerspiegeln.

In der Realität bekommt ein Diabetiker daher allein aufgrund seiner Erkrankung Diabetes sehr selten einen GdB von mehr als 40°. Vielmehr müssen andere Begleiterkrankungen oder entsprechende Folgeerkrankungen unbe-dingt angegeben werden. Dies ist oft das „Zünglein an der Waage“ und kann die 50° erbringen.

Auf folgender Seite kann man dies im Einzelnen nachlesen: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/k710-versorgungsmed-verordnung.pdf

Zusatzmerkmale B, H, G, AG werden durch einen Diabetes allein nicht erreicht. Erst entsprechende Folgeerkrankungen können ein Zusatzmerkmal rechtfertigen. Beispielsweise kann eine fortgeschrittene diabetische Augenkomplikation zu einem Sehverlust führen und das Zusatzmerkmal B rechtfertigen.

Das Merkmal G erhalten Personen mit Beeinträchtigung im Straßenverkehr mit Geh- oder Steh-behinderung.
Ist jemand nicht in der Lage, innerhalb von 30 Minuten ohne Gefahr für sich oder andere eine Strecke von 2 km zu Fuß zurückzulegen, kann ein Merkmal G beantragt werden.
Im konkreten Fall Diabetes kann dies z.B. bei rezidivierenden schweren Unterzuckerungen, die einer Fremdhilfe bedürfen, der Fall sein. Auch Gangstörungen bei diabetischer Polyneuropathie oder Amputationen können das Merkmal G rechtfertigen. Vorteil wäre hier die kostenlose Teil-nahme am Nahverkehr.

Bei der Antragstellung auf Feststellung eines GdB ist es extrem wichtig, dies sorgfältig zu tun und alle relevanten Erkrankungen aus den unterschiedlichsten Bereichen unbedingt anzuführen.
Das beinhaltet auch zusätzlich zu bekannten Diagnosen immer die Beeinträchtigung der Sinnes-organe oder eine psychische Erkrankung.

Ebenso ist eine ausführliche Schilderung der empfundenen Einschränkungen wichtig, um ver-deutlichen zu können, welche „gravierende“ Beeinträchtigung vorliegt.

Die Deutsche Diabetes-Hilfe bietet online weitere Informationen und Broschüren an sowie hilf-reiche Checklisten: https://www.diabetesde.org/ueber_diabetes/recht_und_soziales/schwerbehindertenausweis

Einige wichtige Dinge gibt es noch zu beachten:

  • Ein vorhandener GdB muss dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt werden. Dann hat man aber natürlich auch kein Recht auf die damit verbundenen Vergünstigungen.
  • Ein GdB muss bei Versicherungsanfragen wahrheitsgemäß angegeben werden. Dies kann unter Umständen zu einer Ablehnung einer Berufsunfähigkeits-, Lebens- oder Kranken-versicherung führen. Allerdings ist es meist so, dass auch die Erkrankung an sich, die zur Behinderung führt, bereits ein Ablehnungsgrund der Versicherungen darstellt.
  • Im Falle einer Verschlimmerung der Erkrankung, kann ein sogenannter Verschlimme-rungsantrag gestellt werden. Dabei wird stets der gesamte Sachverhalt neu geprüft. Un-ter Umständen kann es sogar zu einer Rückstufung der Grade kommen. Daher sollte ein Verschlimmerungsantrag nur bei wirklich triftigen Gründen gestellt werden.

Zusammenfassend, und um Klarheit in dieses komplexe und durchs Paragraphen-Deutsch er-schwertes Thema zu bringen, sind folgende Dinge bei der Beantragung des Schwerbehinderten-ausweises wichtig:

Der entsprechende Antrag muss sorgfältig und vollständig ausgefüllt sein. Alle vorhandenen Er-krankungen müssen angegeben werden. Ebenso die Komplikationen, die Folgeschäden und eine Schilderung der gravierenden Einschränkungen im Alltag.

Bezüglich des Diabetes ist das genaue Behandlungs- und Therapieregime aufzuführen und die damit verbundenen Aufwände zu dokumentieren.

Es besteht bei Antragstellung eine Aufzeichnungspflicht für Blutzuckerwerte und Insulininjektio-nen. Diese könnten vom Versorgungsamt eingefordert werden.

Alternativ sind Auswertungen von kontinuierlichen Glucosemessungen zulässig. Auch hier muss dokumentiert werden, wann zu welchem Zeitpunkt welche Dosis an Insulin gespritzt wurde.

Je genauer und ausführlicher der Antrag ist, umso größer ist die Chance auf eine korrekte Ein-stufung des GdB.

Ein gemeinsames Ausfüllen des primären Antrages auf GdB in der Arztpraxis ist im Leistungsum-fang der gesetzlichen Krankenkasse nicht vorgesehen und müsste privat in Rechnung gestellt werden, meist ist dies nicht notwendig.

Vielmehr können Sie sich Hilfe bei Ihren Angehörigen oder bei Einrichtungen wie Sozialverbän-den, dem VdK oder Sozialverband Deutschland sowie Schwerbehindertenvertretungen holen. Das Einholen von Attesten ist vorab unnötig.

In einem zweiten Schritt bekommen wir dann als Ihre Hausarztpraxis oder diabetologische Schwerpunktpraxis eine Anfrage vom Versorgungsamt zur Einschätzung der Situation. Wichtig ist es, dass Sie uns vorab über die Antragsstellung informieren und uns eine Kopie des ausgefüllten Antrags zukommen lassen.

Dieser für Sie und uns sehr zeitaufwendige, aber wichtige Schritt gewährleistet, dass wir alle zusammen bestmöglich sämtliche Argumente für eine korrekte Einschätzung bringen können.

Quelle:

Diabetologie und Stoffwechsel Supplement, Oktober 21 Diabetes und Recht in Diabetes-Forum 12/23 von RA Oliver Ebert

AUTORIN:

DR. BÄRBEL WOLF
FACHÄRZTIN FÜR INNERE- UND ALLGEMEINMEDIZIN, DIABETOLOGIN (BLÄK), NATURHEILVERFAHREN